Parteispendenaffäre: Chronologie und Parallelen eines aktuellen Skandals

Parteispendenaffäre: Chronologie und Parallelen eines aktuellen Skandals
Parteispendenaffäre: Chronologie und Parallelen eines aktuellen Skandals
 
Wer um die Jahreswende 1999/2000 die Vorgänge um die CDU-Parteispendenaffäre und das Verhalten von Altbundeskanzler Kohl betrachtet und ein wenig in die Vergangenheit schaut, der sieht in den 80er-Jahren Vorgänge, die in ihren Abläufen erstaunliche Parallelen zu den aktuellen Geschehnissen haben, teilweise sogar mit ihnen in Verbindung stehen können.
 
 Zwei vermengte Skandale
 
In den Wirren der aktuellen Spendenaffäre um Exbundeskanzler Kohl werden immer wieder beim Blick zurück zwei Skandale miteinander in Zusammenhang gebracht, die so nicht zusammengehören. Es handelt sich um die Flick-Affäre und die Parteispendenaffäre. Bei der Flick-Affäre ging es darum, dass der Konzernerbe Friedrich Karl Flick in den 70er-Jahren etwa 30 % seiner Anteile an Daimler-Benz verkaufte. Dafür erlöste er 1,9 Mrd. DM. Davon legte er etwa 1,7 Mrd. DM wieder in neuen Beteiligungen, Fabriken und Maschinen an. Flick wollte nun Steuern sparen. Für die beim Verkauf seines Daimler-Anteils erzielte Summe wäre eine Steuer in Höhe von ca. 1 Mrd. DM fällig gewesen. Der Ausweg: Die Bundesregierung konnte eine Steuerbefreiung vornehmen, wenn sie feststellte, das die neu angelegten Gelder von Flick »besonders förderungswürdig« waren. Um zu erreichen, dass man seine Transaktion unter diesem (Gummi-)Paragraphen einordnete, ließ Flick in der ganzen Republik Parteien und Politiker mit Bargeld aus schwarzen Kassen versorgen. Als das Vorgehen dann bekannt wurde, ging das Wort von der »gekauften Republik« um.
 
Bei der Parteispendenaffäre gab es ein ähnliches Strickmuster wie im Fall Flick. Hier lief Geld über (angeblich) gemeinnützige Organisationen als Waschanlagen in die Kassen der Parteien. Der Vorteil des (illegalen) Verfahrens: Für die Spender waren die Gaben meist mit 50 % von der Steuer absetzbar, die Parteien schafften sich so ein üppiges finanzielles Polster.
 
 Das Wirken der Staatsbürgerlichen Vereinigung e. V.
 
Die Staatsbürgerliche Vereinigung Köln/Koblenz e. V. (SV) wurde 1954 auf Betreiben des Bundesverbandes der Deutschen Industrie gegründet. Offiziell war der Zweck der Staatsbürgerlichen Vereinigung, allgemein das demokratische Staatswesen zu fördern. Dahinter steckte aber wohl das Ziel, direkten Einfluss auf die Politik zu nehmen. Vor allem lag den Hintermännern der SV daran, die SPD von der Macht fern zu halten. Wer sich nicht an diese Vorgaben hielt, der wurde von der SV nicht mehr bedacht. So geschah es der FDP, als sie im Jahr 1956 mit der SPD in Nordrhein-Westfalen koalierte und damit den CDU-Ministerpräsidenten Karl Arnold stürzte. Schon bald verlegte die SV ihren Sitz ins rheinland-pfälzische Koblenz. Immer wieder wurden Kontrollversuche des örtlichen Finanzamtes wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durch die Oberfinanzdirektion und das rheinland-pfälzische Finanzministerium gestoppt. Bis Ende der 80er-Jahre floss über die SV der CDU eine zweistellige Millionensumme zu. Wichtige Verbindungsleute der CDU zur SV waren damals der Angestellte der Bonner Parteizentrale Hans Terlinden und der ehemalige Generalbevollmächtigte der CDU-Schatzmeisterei, Uwe Lüthje. Als 1979 juristische Konsequenzen drohten, beendeten Terlinden und Lüthje die Zusammenarbeit mit der SV. 1980 stellte dann die SV ihren Geschäftsbetrieb ein. Im Sommer 1981 wurde die SV von der Bonner Staatsanwaltschaft untersucht, und die Parteispendenaffäre nahm ihren Lauf. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass allein zwischen 1969 und 1980 rund 214 Mio. DM von der SV an die bürgerlichen Parteien gezahlt worden waren. Oft war das Geld in Koffern über die deutsch-schweizerische Grenze gebracht worden. Die Ermittler stellten einen Schaden von rund 100 Mio. DM fest, denn das Geld war an der Steuer vorbei über die gemeinnützige SV und ihre Tarnadressen gewaschen worden.
 
 Wohin mit dem Geld?
 
Wegen dieses illegalen Vorgehens hatten nun die Spender ihrerseits kein Interesse, das Geld nach Auflösung der SV zurückzubekommen. Das hätte zu schwierigen Nachfragen vonseiten des Finanzamtes geführt. Ein Urteil des Bonner Landgerichts stellte fest, dass im Jahr 1983 noch sechs Mio. DM auf einem Konto der SV verblieben waren, und zwei Mio. DM lagerten unter Tarnadressen der SV in Liechtenstein. Das Geld wurde Anfang der 80er-Jahre abgebucht. Wo es verblieb, ließ sich lange Jahre nicht klären.
 
 Der doppelte Blackout
 
Rheinland-pfälzischer Ministerpräsident war von 1969 bis 1976 Helmut Kohl. Vor einem Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags, der sich mit der Parteispendenaffäre um die SV befasste, sagte Kohl, mittlerweile Bundeskanzler, am 18. 07. 1985 aus, dass er in seiner Zeit als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident zwar von der Existenz der SV gewusst habe, ihm aber unbekannt gewesen sei, dass die SV »der Spendenbeschaffung diente«. Die »Spendepraxis und inwieweit das steuerlich relevant war oder nicht. .. dazu kann ich nichts sagen« (zitiert nach der Süddeutschen Zeitung vom 30. 12. 1999). Allerdings gibt es Dokumente, die belegen, so die Süddeutsche Zeitung, dass »Kohl seit Mitte der 60er-Jahre aktiv am SV-Geldtransfer beteiligt war«. Die Koblenzer Staatsanwaltschaft ermittelte daraufhin gegen Kohl wegen des Verdachts uneidlicher Falschaussage. Kohl selbst räumte ein, seine Aussagen könnten »zu Missdeutungen Anlass geben, sofern man die Antwort isoliert betrachtet«. Der damalige CDU-Generalsekretär äußerte zu Kohls Entlastung im Fernsehen die Vermutung, Kohl habe »möglicherweise einen Blackout gehabt«. Der damalige Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble entwarf zusammen mit Kohls Anwalt Hans Dahs eine Verteidigungsstrategie: Kohl habe die Spendenpraxis der SV gekannt, auch gewusst, dass von dort Spenden an die CDU weitergeleitet würden. Ihm sei aber nicht bekannt gewesen, dass das illegal gewesen sei. Das Verfahren gegen Kohl wurde schließlich eingestellt. Zur gleichen Zeit lief ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Kohl. Vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags, der sich mit der Aufklärung der Flick-Affäre befasste, hatte Kohl am 07. 11. 1984 bestätigt, dass er vom Flick-Konzern 155 000 DM erhalten hatte. Dieses Geld habe der Generalbevollmächtigte der CDU-Schatzkanzlei, Uwe Lüthje, weitergeleitet. Auch Hans Terlinden, der Vertraute Kohls in der Parteizentrale, erinnere sich an Spenden von Flick. Daraufhin wurde Kohl vom damaligen Grünen-Abgeordneten und heutigen Bundesinnenminister Otto Schily wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage angezeigt, denn Kohl habe wider besseres Wissen geleugnet, zwei weitere Zahlungen des Flick-Konzerns — über 25 000 DM und 30 000 DM — erhalten zu haben. Kohls Verteidiger Dahs machte daraufhin die Einlassung, dass das Geld wohl doch gezahlt worden sei, Kohl wisse allerdings nicht, wo es geblieben sei. Kohl habe sagen wollen, dass in der »Buchhaltung der Schatzmeisterei der CDU eine entsprechende Verbuchung fehle« (Zitat aus der Süddeutschen Zeitung vom 30. 12. 1999). Kohl habe sich bei seiner Aussage auf eine »Auswertung der Eingangsbuchungen der Parteikasse« verlassen. Auch dieses Verfahren gegen Kohl wurde schließlich eingestellt.
 
 Kanther, Prinz Casimir und der Zaunkönig
 
Im Januar 2000 gestanden der frühere Innenminister und hessische CDU-Vorsitzende Manfred Kanther und der frühere Schatzmeister der hessischen CDU, Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein, dann ein, dass Anfang der 80er-Jahre 8 Mio. DM aus angeblichen Spenden auf einem Bankkonto angelegt und dann auf ein Konto des Schweizerischen Bankvereins verbracht worden waren. Der Grund für diese Transaktion: Das Geld sollte vor verschärften Spendenvorschriften in Sicherheit gebracht werden. Getarnt als Vermächtnisse jüdischer Mitbürger seien dann zwischen 1989 und 1996 12,7 Mio. DM an die CDU in Hessen zurückgeflossen. Als Kanther dann 1993 Bundesinnenminister wurde, kam das Geld in eine Stiftung namens »Zaunkönig«, bei der allein Horst Weyrauch, CDU-Steuerberater und enger Vertrauter Helmut Kohls, und Prinz Wittgenstein Geld und Informationen weiterleiten durften. Hier nun bleiben Fragen offen, und es gibt einige verdächtige Augenscheinlichkeiten. So ist der Betrag, der Anfang der 80er-Jahre von Hessen ins Ausland gebracht wurde, ziemlich genau mit der Summe identisch, die bei der SV übrig geblieben war. Es stellt sich zudem die Frage, vor welchen — damals ja noch gar nicht eingeführten — verschärften Parteispendenbestimmungen — die erst ab 1984 galten — dieses Geld in Sicherheit gebracht werden sollte. Wie Hessens Ministerpräsident Roland Koch mittlerweile eingeräumt hat, sind von der Summe der zurückfließenden Gelder über 4 Mio. DM verschwunden.
 
 Altbekannte Vorgänge
 
Nachdem nun Helmut Kohl im ZDF im Januar 2000 eingeräumt hat, zwischen 1993 und 1998 etwa 2 Mio. DM an Spenden erhalten zu haben, die er dann am offiziellen Rechnungswerk der CDU vorbei in schwarze Kassen schleuste, ermittelt mittlerweile die Staatsanwaltschaft Bonn gegen ihn wegen Untreue. Was innerhalb dieser Unklarheiten auffällt, ist die stete Wiederkehr derselben Namen — unter anderem Weyrauch, Terlinden und Lüthje —, ferner die Ungenauigkeit der Buchführung — in den 80er-Jahren war der Verbleib bestimmter Gelder nicht zu klären, im Jahr 2000 musste die CDU-Führung eingestehen, dass in ihren Rechenschaftsberichten der Verbleib von über 10 Mio. DM nicht nachzuvollziehen ist —, dazu kommen erstaunliche Erinnerungslücken — konnte sich in den 80er-Jahren Kohl an bestimmte Spenden nicht erinnern, so hat er im Jahr 2000 diese Erinnerung parat, will seine Spender aber wegen eines Ehrenworts nicht nennen, dafür hatte sein Nachfolger im Parteivorsitz, Wolfgang Schäuble, große Schwierigkeiten und kann sich nur Schritt für Schritt an ein Treffen mit einem Rüstungslobbyisten und eine Spende von diesem erinnern. Auch der Verbleib dieses Geldes ist — eine weitere Parallele zu den 80er-Jahren — nicht mehr nachzuvollziehen. So stand am Ende der Rücktritt von Wolfgang Schäuble als Parteivorsitzender, ohne dass damit mehr Klarheit über die Spendenpraktiken der Partei gewonnen worden wäre.
 
 
Hans Herbert von Arnim: Die Partei, der Abgeordnete und das Geld. Parteienfinanzierung in Deutschland. Neuausgabe München 1996.
 Hans Herbert von Arnim:Der Staat als Beute. Wie Politiker in eigener Sache Gesetze machen. München 1998.
 Hans Herbert von Arnim: Fetter Bauch regiert nicht gern. Die politische Klasse, selbstbezogen und abgehoben. Taschenbuchausgabe München 1999.
 Hans Herbert von Arnim: Vom schönen Schein der Demokratie. Politik ohne Verantwortung, am Volk vorbei. München 2000.
 
Die Kosten der Parteienfinanzierung, Beiträge von Rolf Ebbinghausen u. a. Opladen 1996.
 Friedhelm Boyken: Die neue Parteienfinanzierung. Entscheidungsprozessanalyse und Wirkungskontrolle. Baden-Baden 1998.
 Jürgen Busche: Helmut Kohl. Anatomie eines Erfolges. Berlin 1998.
 Klaus Dreher: Helmut Kohl. Leben mit Macht. Stuttgart 21998.
 Thomas Drysch: Parteienfinanzierung. Österreich, Schweiz, Bundesrepublik Deutschland. Opladen 1998.
 Karl-Rudolf Korte: Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft. Stuttgart 1998.
 Jürgen Leinemann: Helmut Kohl. Die Inszenierung einer Karriere. Berlin 1998.
 Gregor Stricker: Der Parteienfinanzierungsstaat. Baden-Baden 1998.
 Wolfgang Schäuble: Und sie bewegt sich doch. Taschenbuchausgabe München 2000.

Universal-Lexikon. 2012.

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